Ältester Briefmarkensammlerverein Deutschlands


Das "Blaue Wunder"

Ein blaues Wunder erleben will eigentlich niemand. Denn laut WIKTIONARY bedeutet diese Redewendung, dass man eine unerfreuliche Überraschung erfahren wird.   

In Dresden ist das ein bisschen anders. Da kann man seit mehr als 125 Jahren (s)ein Blaues Wunder nicht nur erfahren sondern auch be-, über- und unterfahren…

Mitte des 19. Jahrhunderts war die einzige Möglichkeit von Loschwitz nach Blasewitz zu gelangen die Loschwitzer Fähre (in Höhe des Schillergartens). Überlegungen zum Bau einer Uferstraße am rechten Elbufer nach Dresdens Neustadt wurden wegen der permanenten Hochwassergefahr schnell ad acta gelegt. Sowohl die im Raum Loschwitz, Weißer Hirsch und Bühlau ansässigen Gewerbetreibenden als auch die Besitzer der  zahlreichen Villen auf den rechten Elbhängen forderten zur besseren Anbindung an das aufstrebende Dresdner Zentrum den Bau einer Brücke nach Blasewitz. Etwa um 1872 beauftragten vermögende Privatleute ein Ingenieurbüro zur Planung einer Brücke. Die Umsetzung dieses Projektes scheiterte aber an dessen Finanzierung. Einen entscheidenden Schub erhielt das Vorhaben 1884 mit der Genehmigung eines Zuschusses zum Brückenbau in Höhe von 400.000 Mark durch den Sächsischen Landtag. Der 1886 gegründete Brückenverband beauftragte das Büro Felten & Guilleaume in Mühlheim am Rhein einen weiteren Entwurf zu dem bereits vorliegenden Plan für eine Parabelträgerbrücke mit einem Strompfeiler der Königin-Marien-Hütte AG in Cainsdorf (bei Zwickau) vorzulegen.


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Abbildung 1: amtliche Ganzsache mit privatem Zudruck der Königin Marienhütte

Die Rheinländer konstruierten eine Hängebrücke ohne Strompfeiler und erfüllten damit eine wesentliche Forderung der Königlichen Wasserbaudirektion. Deren Vorstand, Claus Koepcke, der 1869 als Nachfolger von Andreas Schubert als Professor für Eisenbahn- Wasser- und Brückenbau am Polytechnikum nach Dresden gekommen war und der bereits am Bau der Elbbrücke in Riesa mitgewirkt hatte, entwarf daraufhin gemeinsam mit der Königin-Marien-Hütte eine versteifte Hängebrücke (nach dem System Koepcke) die alle Bedingungen der Ausschreibung erfüllte.

Nach langwierigen Preisverhandlungen erhielt die Königin-Marien-Hütte den Zuschlag zum Bau der Stahlkonstruktion und feierte damit gleichzeitig ein nicht alltägliches Jubiläum, den die Loschwitzer Brücke war bereits der 1.500 Brückenbau den die Firma ausführte. Auch der Stahl für die Elbbrücke in Riesa und für den Markersbacher Viadukt kam aus Cainsdorf. Im Frühjahr 1891 begannen die Bauarbeiten an der Ankerkammer in Loschwitzer. Bis zum Ende des Jahres wurde auch der Pfeiler auf dieser Elbseite fertig gestellt. Im Mai 1892 begann dann der Bau des stählernen Tragwerks. Die dafür benötigten Teile wurden von Cainsdorf nach Dresden per Bahn transportiert. Von Dresden aus ging es weiter per Schiff  bis zu den Baustellen auf beiden Elbseiten. Bereits im Frühjahr 1893 war die Brücke rohbaufertig und es konnte mit dem Einbau der Fußwege, der Fahrbahn und der Straßenbahngleise begonnen werden. Am 15. Juli 1893 erfolgte die feierliche Einweihung der Brücke.


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Abbildung 2: amtliche Ganzsache mit privatem Zudruck, Blick auf die Loschwitzer Seite mit dem Hotel Demnitz (heute Elbegarten), links die König-Albert-Brücke ¹

Vier Tage vorher gab es eine Belastungsprobe um das noch bestehende Misstrauen in die Tragfähigkeit der Brücke zu beseitigen. Dazu wurden in die Brückenmitte drei mit Steinen beladene und eine mit Fahrgästen vollbesetzte Straßenbahn, vier gefüllte Wassersprengwagen, drei Dampfwalzen, sechs vierspännige Pferdewalzen und drei Kutschen gefahren. Ergänzt wurde das Spektakel durch eine im Gleichschritt marschierende Kompanie des Dresdner Jägerbataillons.  Aber die mehr als 3.000 Tonnen Stahl hielten der Belastung stand. Die Kosten für den Bau betrugen 2,25 Millionen Mark. Ein Großteil dieser Kosten wurde wieder eingebracht durch den bis zum Jahr 1921 erhobenen Brückenzoll. So mussten beispielsweise Personen über 12 Jahre 5 Pfennige für eine Überquerung bezahlen. Für einen Reiter mit Pferd oder einen Ochsen wurden 15 Pfennige fällig und für einen Zweispänner musste man 40 Pfennige be“rappen“.



Abbildung 3: Hebestelle mit zwei Brückenzolleinnehmern, rechts Oskar Bönsch ²


Eingeweiht wurde die Brücke unter dem Namen „König-Albert-Brücke“. Der offizielle Name lautet „Loschwitzer Brücke“. Aber bekannt ist das Bauwerk als „Blaues Wunder“.  Das „Wunder“ bezieht sich auf die zum damaligen Zeitpunkt technische Meisterleistung einen Fluss ohne Strompfeiler zu überspannen (Abb. 4, links). Der „Rest“ kommt von dem hellblauen Farbanstrich, den die Brücke von Anfang an trug. Die immer wieder auftauchende  Legende vom  ursprünglich grünem Anstrich bei dem sich durch die Sonneneinstrahlung die gelben Farbanteile (auf wundersame Weise) verflüchtigt haben basiert auf einer Zeitungsente der „Dresdner Nachrichten“ von 1936.

Obwohl es auch viele kritische Stimmen gab wurde die Brücke von Beginn an gut angenommen. Die Einnahmen aus dem Brückenzoll übertrafen alle Erwartungen. Bis zum Ende der Erhebungszeit Mitte 1924 konnte die dreifache Summe der Baukosten eingespielt werden.



Abbildung 5: Ansichtskarte (Ausschnitt)  mit der Blasewitzer Brückenrampe

Nach der Eingemeindung von Loschwitz und Blasewitz im Jahre 1921 drängte das Land Sachsen als Eigentümer die Dresden zur Übernahme der Brücke. Die Stadt wiederum machte aufgrund des gestiegenen Verkehrsaufkommens eine Verbreiterung der Fahrbahn zur Bedingung für eine Übernahme. Nach langer Planungszeit wurden 1935 die Gehwege an die Außenseite der Brücke verlegt. Nach Abschluss der Umbauarbeiten ging das Bauwerk in das Eigentum der Stadt Dresden über. Seitdem gab es keine wesentlichen Veränderungen mehr an den Eckdaten der Brücke:


Gebräuchlicher Name

„Blaues Wunder“

Amtlicher Name


1883-1912: König-Albert-Brücke

seit 1912:    Loschwitzer Brücke

Baubeginn

28.04.1891

Eröffnung

15.07.1893

Bauzeit

2 Jahre 2 Monate und 17 Tage

Bauart

Auslegerstahlfachwerkbrücke

Länge und Breite

280 m x 12 m


Bei den Luftangriffen vom Februar 1945 wurde die Brücke zwar beschädigt, konnte aber ohne größere Einschränkungen weiter genutzt werden. Ebenso wie die anderen Dresdner Elbbrücken sollte auch das Blaue Wunder kurz vor dem Eintreffen der roten Armee gesprengt werden. Mehrere mutige Bürger verhinderten unabhängig voneinander die Zerstörung der Brücke indem sie die Zündkabel zerschnitten oder die Sprengladungen entfernten Zwei davon ehrt eine Gedenktafel auf der Blasewitzer Seite.

Nach dem Krieg kam es infolge der allgemein vorherrschenden Mangelwirtschaft zur Vernachlässigung dringend notwendiger Wartungsarbeiten. Von 1957-59 wurde lediglich die völlig marode Fahrbahn erneuert. 



Abbildung 6: Absenderfreistempel mit Blick auf den „Weißen Hirsch“


1967 erwog man sogar den kompletten Abriss und Neubau der Brücke.  Glücklicherweise kam es aber nicht dazu. Zur Minderung der Belastungen wurde 1985 der Straßenbahnverkehr über das Blaue Wunder eingestellt. Mittlerweile dürfen nur noch LKW´s bis 15 Tonnen die Brücke überqueren. Dazu wurde in Höhe des „Schillergartens“ (Abbildung 7, rechts)  eine Gewichtsmessstelle installiert.

In 2019 begannen umfangreiche Sanierungsmaßnahmen für die der Stadtrat über  mehrere Jahre verteilt 40  Millionen Euro genehmigt hat.



Abbildung 8: Absenderfreistempel (blau !) der URANIA mit dem „Blauen Wunder“

Damit soll eine Nutzung bis mindestens 2025 gesichert werden. Aber die Lebensdauer einer Stahlkonstruktion ist halt begrenzt. Momentan scheint es aber unvorstellbar, dass die Brücke, die inzwischen neben Frauenkirche und Goldenen Reiter zu den Wahrzeichen der Stadt zählt, irgendwann aus dem Stadtbild verschwindet.



Abbildung 10:  Luftpostbrief nach Malaysia mit portogerechter Mehrfachfrankatur, Rückläufer (wegen falscher Adresse), Ersttagsstempel Dresden 


Quellenangabe:

  • Dresdner Hefte, 26. Jahrgang, Heft 94, 2/2008 - "Dresdner Elbbrücken in acht Jahrhunderten"
  • Peter Hilbert, Edition Sächsische Zeitung - "Dresdner Brücken von den Anfängen bis zur Gegenwart"
  • Wikipedia - Liste der Elbquerungen in Dresden


²) Der Brückenzolleinnehmer Oskar Bönsch ist der Urgroßonkel eines Vereinsmitgliedes, welches mir dieses Foto auch freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.

¹) Die gezeigte Karte (Hanspeter Frech – Privatpostkarten-Katalog Band 1: PP 9 F 244 03) wurde am 24. Juni 1894 geschrieben, d.h. rund 1 Jahr nach der Eröffnung der Brücke. Die amtliche Ganzsache (Michel Ganzsachen-Katalog Deutschland P 30 I), die als "Grund"-Karte für den Zudruck diente, wurde im März 1894 gedruckt (Druckvermerk rechts unten: 394f; der Buchstabe „f“ kennzeichnet die Stelle, an der sich die auf diesen Karten übliche Punktlücke in der Anschriftenleiste befindet). Auffällig ist aber, dass die Zeichnung der Brücke erheblich vom tatsächlichen Erscheinungsbild abweicht. Deutlich wird das an den Pylonen die völlig unterschiedlich sind. Außerdem fehlen die Querstreben der Bögen komplett. Insgesamt stimmen auch die Relationen nicht, die Brücke auf der Karte wirkt viel „leichter“. Entweder muss man von künstlerischer Freiheit ausgehen oder die Zeichnung entstand noch vor der Fertigstellung der Brücke und zeigt eventuell einen der nicht verwirklichten Entwürfe. Die Abbildung auf der Karte hat eher das Aussehen einer Hängebrücke.